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Vom Klang des Lebens. Als ich das Musikstudium gegen Gummistiefel tauschte

Manchmal führt uns der Ruf unserer Seele auf Umwege, die wir von selbst nie eingeschlagen hätten, die uns aber rückblickend sehr wesentliche Dinge lehren. Einer meiner „Umwege“ führte mich erstmal weit weg von der Musik. Was mich 10 Jahre lang irritierte, macht rückblickend viel Sinn, denn nur dadurch, dass ich aus den vorgespurten Bahnen ausstieg und meinen ganz eigenen Weg ging, kann ich jetzt auf diese authentische Art als Musikerin auf der Bühne stehen. Hier ist die Geschichte, was geschah, als ich das Musikstudium gegen Gummistiefel tauschte und dadurch der Musik noch näher kam:

Ich hätte Musik studieren können. Als Tochter einer Sängerin und eines Instrumentenbauers hatte ich die Musik schon im Blut, da war ich noch nicht mal auf der Welt und das Talent wurde an der Babywiege großzügig mit dazu gelegt. Der berufliche Weg als Musikerin war vorgezeichnet, aber dann traf ich eine Entscheidung, die alles veränderte und mir mehr schenkte als alles, was ich mir erträumt hatte: Einen Zugang zur stillen, unaufdringlichen Melodie des Lebens selbst.

Bevor ich diesen neuen Lebensweg einschlug, war die Musik für mich nicht nur ein bedeutsamer Teil meiner bisherigen Welt, sondern auch eine tiefe innere Erfahrung. Vieles von dem, was ich während meiner exzellenten musikalischen Ausbildung an Theorie lernte, habe ich mittlerweile vergessen. Aber das Wesentliche ist geblieben: meine Fähigkeit, Musik nicht nur zu hören, sondern sie bis ins Innerste zu FÜHLEN. Wenn ich einem Musikstück wirklich lausche, dann fühlt es sich an wie physische Berührungen auf meiner Haut – absichtslos und zugleich sehr sinnlich.

Gleichzeitig können mich Klänge so tief im Herzen berühren, dass ich manchmal in ihnen verschwinde wie in einem lichten Strudel (mittlerweile habe ich gelernt, diese Empfindungen zu kontrollieren, sodass ich nicht vor lauter Ekstase im Graben lande, wenn ich beim Autofahren Tschaikowskys Fünfte höre 😅). Da gehen Räume in mir auf, die am ehesten mit mystischen Erfahrungen zu vergleichen sind und die mich zutiefst nähren, inspirieren und durchlichten. Bei dieser natürlichen Verbindung zum Wesen der Musik und einem ganzen Haufen vererbtem und bestens geschultem Talent lag es auf der Hand, dass ein Musikstudium nur folgerichtig wäre. Es wäre in gewisser Hinsicht leichter gewesen – ich hätte den bereits vorgespurten Weg einfach nur weitergehen müssen.

Aber dann habe ich nicht Musik studiert, sondern meinen Rucksack gepackt und bin nach Frankreich aufs Land gezogen. Dass ich damit ein ganzes Leben mit all seinen Möglichkeiten hinter mir lasse, war mir damals nicht bewusst. Die Musik in ihren gewohnten Formen fehlte mir, aber die Sehnsucht danach, meinem Ruf zu folgen, war stärker. Und weil ich auch damals schon ich war, folgte ich kompromisslos dem Ruf – per Anhalter ins Unbekannte. Ich grub also die Hände in französischen Boden und nahm zum ersten Mal bewusst wahr, wie die Erde ein- und ausatmet. Ich lernte, was es bedeutet, die täglichen Mahlzeiten dem Boden abzuringen und wie sich wahrer Reichtum anfühlen kann:

Wie der Geruch von sonnenwarmen Äpfeln ganz oben in der Krone und über dir nur blauester Septemberhimmel. Wie die schweren Milchkannen, deren Inhalt du mit schmerzenden Schultern in den Käsekessel kippst, sodass die süße Milch nur so schäumt. Wie der Rhythmus, den der zeitlose Nachmittag auf dem Feld durch das metallene Geräusch der Hacke auf dem schweren, sommertrockenen Boden bekommt und der dich hineinzieht in die weltenverbindende Trance, die nur erlebt, wer die Monotonie nicht scheut.

Diese Fülle fühlt sich auch an wie der Rauch, der dir in der Nase beißt, während du vor Kälte zitternd vor dem Ofen hockst und hoffst, dass das Holz endlich Feuer fängt, damit du dir einen Tee kochen kannst. Wie Muskelkater, Erschöpfung und zu viel Arbeit. Wie Segen und Fluch, eingebettet in die rauhe Schönheit eines Lebens in direkter Verbindung zur Natur.

In meiner Erinnerung ist diese Zeit in Frankreich sonnendurchflutet und ohne einen einzigen Regentag (was natürlich nicht stimmt. Der Hof liegt in einem natürlichen Feuchtgebiet und wir sind auf kniehoch überfluteten Straßen Fahrrad gefahren, was ziemlich lustig war). Aber in diesen Momenten auf dem Bauernhof, in denen ich den Elementen so nah und mein Leben untrennbar verwebt war mit den alles bestimmenden Rhythmen der Tiere und der Jahreszeiten, da entdeckte ich, dass das Licht, die Ekstase und die Verbundenheit, die ich bisher vor allem durch die Musik erlebt hatte, auch in der Natur zu Hause war und in all dem, was mir zwischen den Zeilen entgegen kam, während ich meine tägliche Arbeit tat:

Ich fand dieses klangvolle Leuchten in der warmen Ruhe, die wiederkäuende Kühe umgibt. Ich fand es auch im gemeinsamen Lachen beim Mittagessen und im Schweigen des Herbstnebels. Ich fand sie im blauen Glitzern des Eisvogels über dem Fluss, in der Einsamkeit, die mich manchmal erfasste und im Quietschen der kalten Gummistiefel morgens um halb 7. Es erforderte nur, lang genug und erwartungslos zu lauschen, dann war es in all dem leicht zu finden. Rückblickend war meine Zeit in Frankreich voll von spirituellen Erlebnissen, ohne dass ich es merkte. Insbesondere die Begegnungen mit den Kühen lehrte mich Dinge, die ich erst Jahre später in Worte fassen konnte. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ich erinnere mich noch gut an den Moment, als ich eines Abends auf der Bank vor dem Bauernhaus ins Abendblau schaute. Die Backsteinziegel wärmten mir den Rücken und der große, flauschige Hofhund hatte sich quer über meinen Schoß gelegt. So saß ich wie jeden Abend und atmete den Tag aus, bis die Verbindung zu mir selbst mich wieder ausfüllte. Die Silhouette der großen Eiche zeichnete sich scharf vom Abendhimmel ab. Da kam mir auf einmal in den Sinn: „Was, wenn diese Harmonie nicht nur in der Musik und in der Natur zu finden ist, sondern immer und überall? Was, wenn ALLES in diesem Leben und auf dieser Welt übervoll ist mit Licht, Lebendigkeit und einer Schönheit, so groß, dass es einem das Herz zerreißt?“

Da wurde es sehr still in mir und auch um mich herum verstummte für einen langen Augenblick die Welt.
In meinem Herzen wusste ich, dass ich Wahrheit gefunden hatte.

Und erst diese Wahrheit, die mittlerweile zu meiner spirituellen Alltagspraxis geworden ist und die ich Jahre später unverhofft in der tantrischen Philosophie wieder entdeckte, ermöglichte es mir, mich über 10 Jahre später der Musik wieder zuzuwenden. Nicht nur als eine Sache, die mir so nah ist, dass es unnatürlich wäre, sie wegzulassen, sondern auch als eine Basis für meinen Lebensunterhalt. Niemals hätte ich ohne diesen „Umweg“ mich selbst auf die Art erleben können wie in den Jahren in der Landwirtschaft. Nie hätte mich das Umfeld einer Musikhochschule lehren können, was die Kühe, der Morgennebel und die Härte körperlicher Arbeit mich gelehrt haben.

Und während ich also dankbar bin für all die tiefen Erfahrungen, die mir ein Leben im Dienst meiner Seele so schenkt, stiehlt sich ein triumphierendes Grinsen in meinen Mundwinkel: Es ist gelungen. Ich bin dem Ruf gefolgt und er hat mich dorthin geführt, wo ich die Musik auf viel authentischere (und ich möchte meinen, dadurch wirksamere) Art leben kann als es möglich gewesen wäre, wenn ich der perfektionistischen Welt der klassischen Musik treu geblieben wäre.

Ich schätze diese Welt und habe Respekt vor denen, die diesen Weg gehen und gegangen sind – er ist genau so steinig und erfüllend wie die Landwirtschaft. Doch was ich mir für alle Menschen wünsche, ist, dass sie den Mut in sich finden, dem eigenen Seelenruf zu folgen, so irritierend er sich für den Verstand auch anfühlen mag.

Die Hingabe an deinen eigenen Weg ist es, zu der ich ermutigen möchte.
Denn der Lohn für diesen Mut liegt im größten Reichtum, den ein Mensch erlangen kann:

Du selbst zu sein, und darin frei.

Ich freue mich, dich mal bei einem Konzert zu sehen!
Alle aktuellen Termine findest du hier.

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