Gestern abend ist meine Oma gestorben.
Seit ich 13 war, schrieben wir uns regelmäßig lange Briefe, in denen wir uns unter Anderem viel mit Glauben und Religion auseinandersetzten. Sie konnte meine Begeisterung über Schamanismus nicht nachvollziehen und fand die Vorstellung gruselig, dass die ganze Welt beseelt sein soll („Wir sind doch keine Animisten!“). Die Art, wie ihre freikirchlich-evangelische Brüdergemeinde ihren Glauben lebte, hat wiederum mir insgeheim immer Gänsehaut verursacht („Aber warum geht es denn immer noch so sehr um Schuld? Ich dachte, Jesus hat das für uns geklärt?“).
Unsere Briefe sind ein Zeugnis davon, wie Respekt zwischen verschiedenen Glaubensrichtungen existieren kann. Dass das möglich war, lag zu großen Teilen an der Weisheit, die sie immer wieder durch ihre Taten in die Welt gebracht hat. Ich erinnere mich an eine Geschichte.
Mein kleiner Bruder, damals so 8 oder 9, hatte sich im Sinne der geltenden Etikette daneben benommen – er hatte sich nicht für ein größeres Geschenk bedankt oder so. Alle haben sich aufgeregt, was aber tat meine Großmutter?
Anstatt das „Danke“ einzufordern oder auch nur ihre Enttäuschung auszudrücken, schickte sie meinem Bruder ein Schokoladenherz, 20 cm groß. Liebe zum Reinbeißen. Ich als leer ausgehende große Schwester war damals stinkwütend und fand diese „Strategie“ total lächerlich. Weil sie, was die konkrete Situation betraf, auch ergebnislos blieb.
Aber die Geste hat tiefe Spuren in mir hinterlassen.
Erzählt sie doch so deutlich von dem Glauben daran, dass die Liebe stärker ist als alle Gewalt.
In Omas Briefen an mich wird sichtbar, dass sie diese Haltung in ihrem Leben immer tiefer verkörpert hat. Mit Sicherheit nicht fehlerfrei. Aber so oft ist ihre Antwort auf meine drängenden, konfrontierenden Fragen Liebe gewesen.
Sie und mich trennte scheinbar so vieles. Aber im gelebten Glauben an die Liebe ist sie mir eine der größten Lehrerinnen.
Immer nur zwischen den Zeilen.
Nie fordernd oder aufdringlich.
So hat sie das Mysterium um den Christus und die Liebe täglich tief in ihr Herz und ihr Leben hineingebetet und -gewebt; und damit auch in meines. Das war und ist mit Sicherheit kein leichter Weg.
Aber was, wenn es auf unsere Trilliarden von Fragen nur eine einzige, einfache Antwort gibt?